Mister Aufziehvogel

Hier findest Du Diskussionen über Autoren, Empfehlungen, Buchkritik und Büchertipps in den verschiedensten Bereichen.

Sehr Willkommen sind auch selbst geschriebene Texte, Gedanken und Gedichte

Moderator: rené keller

Mister Aufziehvogel

Beitragvon silviamueller » 30.11.2007, 18:30

Aus Haruki Murakamis Roman, Mister Aufziehvogel.
Für Träumer und Träumerinnen.



Ich bin in einer so aufgelösten Form. In einer undurchsichtigen

Luftschicht. Sie fühlt sich rau und hart an. Kalt wie Wasser.

Die Zeit schwankt, die Kontinuität ist verdreht, die Schwerkraft

erschüttert.

Mir ist, als waberten uralte Erinnerungen wie Dampf aus dem

Abgrund der Zeit herauf.

Mein genetisches Erbe. In meinen Zellen spühr ich die extreme

Spannung der Evolution.

Die Erde expandiert, erkaltet und zieht sich zusammen.

Ich verstehe nichts.

Der Ozean wird zur einer gigantischen Idee.

Auf seiner Oberfläche tropft lautlos Regen.

Gesichtslose Menschen stehen am Strand und schauen auf

das Meer.

Die endlose Zeit wird zu einem riesigen Knäuel, das sichtbar

in der Luft schwebt.

Das Nichts verschluckt uns Menschen und ein noch grösseres Nichts

verschluckt das Nichts. Das Fleisch schnmielzt von den Körpern und legt

die blanken Knochen frei, wird zu staub, vom Wind verweht.

Absolut tot, sagt jemand. Kuckuck, sagt ein anderer.

Mein Körper löst sich auf, zerberstet und ist im Begriff sich neu zusammenzusetzen.

Ich lieg im Bett - nackt. Es ist stockdunkel. Keine rabenschwarze Finsternis,

aber ich kann nichts sehen. Ich bin allein.

Ich greife neben mich, es ist niemand da.

Ausgesetzt am Rande der Welt.

Ich bin alleine zurückgeblieben.

Ab und zu weine ich, lautlos.

Weine um alles, was ich verloren habe. Und um das was noch nicht verloren gegangen ist.

Ich denke mich weich in Arme - warm verstreicht die Zeit.

Und irgendwann wird leise der Tag anbrechen.

Ich überlege mir wie ich es dann sagen kann.

Wie soll ich mich wecken. Es gibt viele Möglichkeiten, viele Redewendungen.

Wird meine Stimme gut klingen? Wird sich meine Botschaft durch die wirkliche Luft

schwingen?

Ich probiere im Stillen einige Wendungen aus.

Ich werde mich für die schlichteste entscheiden.

Es ist Morgen.
silviamueller
Voyeur
 
Beiträge: 10
Registriert: 28.04.2007, 13:29

Mr. Aufziehvogel

Beitragvon rené keller » 11.12.2007, 20:25

Seltsam, habe erst heute (11.12.07) gesehen, dass du diesen Auszug ins Forum gestellt hast. Vor ca. 2 Wochen habe ich angefangen das Buch zu lesen und dir darüber per SMS letzten Samstag erzählt. Und jetzt sehe ich das hier im Forum.
Bin schon bald damit fertig und es ist der für mich bisher beste Murakami (obwohl es für mich erst der dritte, glaube ich, ist.)
Ein Buch wie ein Traum: Genauso wie Träume sind, nämlich meist nicht besonders lustig und meist auch nicht besonders ängstigend, eher skurril, absurd, bizarr. Merci dir nochmals vielmals für den Tipp!
Glück gibt es nicht, nur die Sehnsucht danach.
Benutzeravatar
rené keller
Moderator Musik
 
Beiträge: 93
Registriert: 02.03.2007, 19:52
Wohnort: Bischofszell

Beitragvon silviamueller » 13.12.2007, 23:05

Siehst du, jetzt verstehe ich dein sms auch besser. Ich dachte du liest das Buch, weil ich einen Auszug ins Forum gestellt hatte, dem war aber nicht so, du hast es selbst gefunden.
Da dir dieses Buch gefallen hat möchte ich dir ein weiteres von Haruki empfehlen, (es war das erste Buch das ich von ihm gelesen habe und das auf den Malediven.
Schweißtreibend, in und aus, wendig ).



Tanz mit dem Schafsmann.

Individuen haben es nicht leicht in der japanischen Gesellschaft; und diesen Randfiguren schenkt der Autor seine Aufmerksamkeit. Menschen, die sich dem Alltagstrott eines Nine-to-Five-Jobs entziehen, die nicht arbeitsscheu sind, aber dabei unabhängig bleiben wollen; Menschen, die eine stärker ausgeprägte Sensibilität ihr eigen nennen - das sind die Protagonisten seines Romans.
In diesem Buch ist es der Kontrast zwischen dem Ich-Erzähler und seinem alten Schulfreund, dem Schauspieler, der über weite Strecken die Spannung trägt; denn dieser, Gotanda, funktioniert in vieler Hinsicht nur. Eingespannt in die Maschinerie der Filmindustrie lebt er im größten Luxus - und kann sich dennoch nicht von den Schulden der Vergangenheit loskaufen. Ein Leben aus dem Spesenkonto ist es, was er führt; es gibt kaum etwas, was er davon nicht kaufen könnte. Bis auf seinen Ausstieg - und die Liebe seiner Exfrau.

Dagegen lässt der Erzähler los - trotz aller Umsicht gestattet er sich eine Auszeit, um auf die Suche nach etwas zu gehen, was er tief in sich selbst verloren hat.
silviamueller
Voyeur
 
Beiträge: 10
Registriert: 28.04.2007, 13:29


Zurück zu Filme & Bücher

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast

cron